Vor 16 Jahren, im Jahr 2002, erschien die erste Ausgabe der Versteckspiel-Broschüre. Einige Zeit später ging unsere Versteckspiel-Homepage online. In der Erstausgabe hatten wir auf 36 Seiten knapp 100 Symbole, Codes und Modemarken zusammengetragen, die in extrem rechten Szenen als Erkennungszeichen dienen. Die komplett überarbeitete 14. Auflage erklärt nunmehr auf über 70 Seiten über 200 Symbole, Codes, Marken und Schlagworte. Und auf dieser Homepage sind es noch einige mehr.
Denn in den vergangenen Jahren ist viel passiert. Neonazistische Bruderschaften im Rocker-Look oder »NS-Rap« waren uns vor 15 Jahren keine Randnotiz wert, heute haben sie in der extrem Rechten eigene Szenen oder Musikstile etabliert. Die rassistischen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und Muslim_innen bringen ständig neue Schlagworte, Symbole und Motive hervor und als Vorbilder dienen Rassist_innen mittlerweile sogar die Krieger des antiken Sparta in Griechenland. Vor 15 Jahren zeigten Neonazis ihre Symbole auf Kleidung, in Publikationen und Sprühereien, heute gibt es zudem die Sozialen Netzwerke, über die jeder und jede eigene Bilder verbreiten kann.
Ein Impuls, über Codes und Symbole der extrem Rechten aufzuklären, waren Erfahrungen, die wir Ende der 1990er Jahre bei Fortbildungen für Lehrer_innen machten: Während uns diese versicherten, dass sie an ihrer Schule ganz bestimmt keine Rechten hätten, blickten wir auf Schulbänke, die mit rechten Zeichen vollgekritzelt waren. Wir wollten den Multiplikator_innen der Jugendarbeit Wissen vermitteln, um bei Rechtsentwicklungen von Jugendlichen frühzeitig intervenieren zu können. Das ist heute noch der Anspruch der Versteckspiel-Broschüre. Doch liegt unser Fokus nicht mehr nur auf der Jugendkultur. Die extrem Rechte war und ist ein generationsübergreifendes Phänomen. Einige Spektren, die diese Broschüre behandelt, wie zum Beispiel die Bewegung um PEGIDA oder die so genannten Reichsbürger, sind kein Teil einer Jugend, die sich von der Welt der Erwachsenen abgrenzt und ihre eigenen Moden und Musikstile hervorbringt. Sie sind vielmehr sichtbares Zeichen der Radikalität mittlerer und älterer Generationen.
Die Versteckspiel-Homepage und Broschüre sind keine Kataloge, die Symbole und ihre Träger_innen in feste politische Raster einteilen. Symbole und Lifestyle-Elemente sind, gerade wenn sie nicht eindeutig sind, »Alarmglocken«, die uns motivieren müssen, genau hinzusehen, nachzufragen, zu verstehen und zu handeln. Die Frage, die uns am häufigsten gestellt wird, können wir oft nicht pauschal beantworten. Sie lautet: Ist dieses bestimmte Symbol nun ein eindeutiges Nazisymbol oder nicht? Denn um zu entscheiden, wie eindeutig ein Symbol oder wie ideologisch gefestigt dessen Träger_in ist, muss der Gesamtzusammenhang erfasst werden, in dem das Symbol auftaucht. Für die eine Person ist es ein ausdrückliches Bekenntnis zum Nazi-Sein, eine andere trägt dieses, weil sie zu einer rechten Clique dazugehören will, findet Nazis jedoch »zu krass«. Zudem erfahren manche Symbole einen Bedeutungswandel. Das Zahnrad beispielsweise ist Teil des Logos des Technischen Hilfswerks (THW). Das THW bezieht sich auf eine Tradition des Zahnrades als Symbol für Technik, die ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Neonazis hingegen zeigen das Zahnrad als straffreies Bekenntnis zum Nationalsozialismus, da es eben auch Teil der Organisationssymbolik der NSDAP-Unterorganisation Deutsche Arbeitsfront (DAF) war.
Auch wir müssen Symbole immer wieder neu bewerten. So hatten wir ein unter extrem Rechten verbreitetes Symbol, das Irminsul genannt wird, bisher der Rubrik »Germanentum und Heidentum« zugeordnet. Denn (auch nicht-rechte) heidnische Kreise interpretieren und verbreiten diese Irminsul als ein Symbol des Heidentums. Tatsächlich lässt sich diese Irminsul weder aus der germanischen noch aus der heidnischen Geschichte herleiten, sondern sie wurde von Nazis erfunden und symbolisierte für sie das »erwachende Heidentum«. In welche Kategorie gehört nun diese Irminsul? Wir haben sie ausführlich erklärt und in die Rubrik »Nationalsozialismus« verschoben.
Wir unterteilen Symbole nicht danach, ob sie juristisch »verboten« sind oder nicht. Ein Verbot kann die notwendige Auseinandersetzung mit den dahinter stehenden Inhalten nicht ersetzen. Auch sind wir der Meinung, dass ein nationalsozialistisches, rassistisches oder antisemitisches Zeichen unabhängig von dessen juristischer Bewertung nirgendwo erlaubt, im Sinne von geduldet, sein sollte: weder in Vereinen, Schulen und Fußballstadien, noch auf Rockkonzerten oder im alltäglichen Straßenbild.
Neu in der Broschüre und der Homepage sind unter anderem Abhandlungen über die Grauen Wölfe und den Rockmusiker Thompson. Die Grauen Wölfe bekennen sich zum »Türkentum«, Thompson zum »Kroatentum«, doch sie haben hierzulande zehntausende von Anhänger_innen. Anzuerkennen, dass Deutschland eine von Einwanderung geprägte Gesellschaft ist, heißt auch zu akzeptieren, dass extrem Rechte, selbst wenn sie sich als türkisch oder kroatisch verstehen, Teil der deutschen Gesellschaft sind. Diese Personen und die mit ihnen verbundenen Probleme so genannten »migrantischen Communities« zuzuweisen, meint letztendlich, sich der Betroffenheit und Verantwortung zu entziehen – und damit die Kategorien von »wir« und »die« aufrecht zuerhalten, die doch die Grundlage aller Ungleichheitsideologien bilden.
Wir differenzieren zwischen »extrem Rechten« und »Neonazis«. Neonazis sind immer extrem rechts, aber extrem Rechte müssen keine Neonazis sein. Unter extrem Rechten verstehen wir Personen, die rechte Positionen in extremer Weise vertreten. Sie müssen sich dabei nicht zum Nationalsozialismus bekennen, so wie es Neonazis tun. Mit extrem rechts meinen wir nicht »rechtsextremistisch« – ein sprachlich kleiner, aber inhaltlich bedeutender Unterschied. Der Begriff »Rechtsextremismus« entstammt der so genannten Extremismustheorie, die besagt, dass eine politische Mitte der Gesellschaft von »extremistischen« Randerscheinungen (linken wie rechten gleichermaßen) bedroht werde. Zugleich zieht sie eine klare Trennung zwischen dieser Mitte und »Extremisten«. Dabei blendet sie aus, wie breit Ideologien der Ungleichheit und undemokratische bis antidemokratische Einstellungen gesellschaftlich verankert sind. Wir erkennen gerade im Zusammenwirken vieler Menschen dieser angeblichen Mitte mit extrem Rechten und Neonazis, wie es derzeit beispielsweise bei der Alternative für Deutschland geschieht, eine große Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Daher widersprechen wir der Extremismustheorie.
Wir machen mit unserer Schreibweise deutlich, dass wir nicht ausschließlich Männer meinen. Denn Sprache trägt viel dazu bei, soziale Ungleichheit zu erzeugen bzw. zu erhalten. Deshalb schreiben wir von Anhänger_innen, Aktivist_innen, Nutzer_innen etc. Nur wenn wir ausdrücklich über Männer und deren Selbstbilder schreiben, haben wir die männliche Ausdrucksform gewählt.
Wir aktualisieren und erweitern diese Homepage regelmäßig und nehmen gerne eure Informationen, Anregungen, Kritik und Bildmaterialien (mit Abdruckrechten) auf. Wendet Euch an mail@dasversteckspiel.de.